Kolumne Nachhaltigkeit
md Magazin
Interior | Design | Architekture
Ausgabe März / April 2022
Kolumne InteriorPark. auf Seite 10 – 11
LASSEN SIE UNS LOSLEGEN, JETZT!
Vom Wissen und Handeln
Es ist das Paradoxon unserer Zeit: Alle erkennen die Notwendigkeit, herkömmliche Verhaltens- und Bauweisen abzulegen, um den menschengemachten Klimawandel zu bremsen. Trotzdem finden die Menschen immer wieder Gründe, nichts zu tun.
Professor Mindy und seine Mitarbeiterin Dibiasky sitzen in einem Fernsehstudio und versuchen die Menschheit von ihren neuesten wissenschaftlichen Erkenntnis zu überzeugen. Sie haben einen Kometen entdeckt, der auf die Erde zurast und diese mit 99,78 %-iger Wahrscheinlichkeit komplett zerstören wird. Einen Planetenkiller. Aber Moment mal: 99,78 % sind nicht 100 % und so kann man sich also nicht ganz sicher sein, dass der Untergang bevorsteht. Manche leugnen entgegen der Meinung führender Wissenschaftler die Existenz des Kometen komplett. Die Wissenschaftler verzweifeln, weil anscheinend niemand den Ernst der Lage versteht bzw. verstehen will.
DIE ANDEREN HABEN SCHULD
Kommt Ihnen das bekannt vor? Die Satire „Don’t look up” spiegelt die weitverbreitete Reaktion auf Fakten wider, die sich nicht leugnen lassen, die uns aber nicht gefallen. Wir Menschen haben die erstaunliche Fähigkeit zwischen unserem Wissen und Handeln die größten Widersprüche zu vereinen. Diese Diskrepanz zeigt sich auch darin, dass trotz unserer Kenntnisse der letzten Jahrzehnte über die Klimakrise, das Artensterben und dem Verlust an Biodiversität keine Verbesserungen zu verzeichnen sind.
Horrorszenarien und Nachrichten über den aussterbenden Eisbären auf der letzten Eisscholle am anderen Ende der Welt verpuffen, solange unser direktes Umfeld und wir persönlich nicht eklatant betroffen sind.
Eine weitverbreitete Reaktion ist dann der Verweis auf andere, um die eigene Unzulänglichkeit zu kaschieren: die Chinesen, die Inder, die Russen und die Brasilianer, die ihren Lebensstandard auf unsere Kosten und auf Kosten der Erde erhöhen wollen. Dabei ist Deutschland weltweit nur für 2 % der CO2 Emissionen verantwortlich. Dummerweise trifft diese Zahl zwar innerhalb von Deutschland zu, aber nicht, wenn wir unseren globalen Fußabdruck berücksichtigen. Dabei wird die Verantwortung gerne von Wirtschaft und Politik auf das Individuum verlagert. Ginge es danach, müsste jeder und jede Einzelne*r in den nächsten 8 Jahren 80 % seiner eigenen CO2 Emissionen senken. Das ist utopisch und geht weit am Ziel vorbei. Weltweit sind 25 Unternehmen für mehr als die Hälfte der industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Zur Reduzierung der globalen Emissionen sind vor allem die Akteure der Energie-, Agrar- und Bauwirtschaft gefragt.
POSITIVE GESCHICHTEN ERZÄHLEN
Die Bauwirtschaft ist durch den Bau, Unterhalt und Abriss von Gebäuden für ca. 40 % der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich und für einen immensen Verbrauch und die Vernichtung von wertvollen Rohstoffen. Unser Hunger nach Beton und damit umweltschädlichem Zement und Sand sowie Stahl ist ungebrochen. Sand ist zu einem raren Rohstoff geworden, der mit verheerenden Umweltschäden vom Meeresboden gewonnen wird. Zement ist für immense CO2 Emissionen während der Herstellung verantwortlich. Das alles ist bekannt, belegt und trotzdem bauen wir nach wie vor gerne mit Beton.
Dabei spielen sicherlich auch unsere Formulierungen und Wortwahl bei sämtlichen ökologischen Themen eine entscheidende Rolle. Sobald es um alternative Baustoffe oder neue Konstruktionen geht, werden umfassende Belege, Referenzprojekte – die sich über einen längeren Zeitraum bewährt haben müssen – und die Widerlegung sämtlicher Eventualitäten verlangt. Herkömmliche Vorgehensweisen müssen diese Evidenz nicht erbringen, auch nicht welchen Schaden sie anrichten.
ES GIBT GUTE VORBILDER
Es gilt also positive Geschichten zu erzählen und damit Emotionen hervorzurufen. Leuchtturmprojekte zeigen welche enormen Potentiale in innovativen Bauweisen liegen. Es ist hinlänglich belegt, dass in Deutschland genügend eigenes Holz für den Bau neuer Architekturen vorhanden ist. Zahlreiche Wissenschaftler, Architekten, Soziologen und Philosophen haben Maßnahmenkataloge und konkrete Vorgehensweisen zusammengetragen und Petitionen eingereicht. Institutionen wie Architects4Future, der BDA, das New European Bauhaus und das New Institute stehen mit der Politik, Wirtschaft und Fachschaft in engem Austausch. Es ist klar was getan werden muss.
Sicher müssen Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Routinen verändert werden. Das betrifft sowohl unseren Blick auf wirtschaftliche Erfolge, die ausschließlich auf die Vermehrung von Wohlstand ausgerichtet sind, als auch auf unsere Lebensweise. Für Kreative spielt auch das Hinterfragen unserer Ästhetik eine entscheidende Rolle und damit die Materialien aus denen wir bauen. Mit dem Wissen was da ist, können wir neue Emotionen hervorrufen. Wir können gemeinsam besser bauen und damit gute Geschichten erzählen.
Als letztes sagt Professor Mindy den bitteren Satz: „Wir hatten wirklich alles, nicht wahr?“ Die Methoden, die Daten, die Mittel, um das Unheil zu verhindern und Leben zu retten. Lassen wir es nicht so weit kommen. Lassen Sie uns loslegen. Jetzt!