Kunstbuch G:sichtet

In Hülle und Fülle

Baukunst für Mensch und Natur

Band 7, Seite 49 – 55

Wie kam es dazu, eine ehemalige Bäckerei als Kunstraum zu nutzen?

Andreas Körner: Es hat natürlich mit der ersten Galerie AK1 zu tun, die sich in einem historischen Gebäude, dem Wengerterhaus im Hospitalviertel, befand. Da es in Stuttgart keinen ästhetischen Bestandsschutz gibt und das Gebäude nicht unter Denkmalschutz stand, konnte es abgerissen werden. So war die Linie klar: wieder besondere Räume finden, die skurril sein mussten, die eine Geschichte erzählen und die Menschen begeistern können. Der Ort an sich sollte auch schon Teil der Kunst sein. Das haben wir mit der Bäckerei gefunden – den ganz besonderen Ort.

Wie kam es zu Eurer Zusammenarbeit?

Tina Kammer: Wir kannten uns von der Galerie AK1. Als mir Andreas erzählt hat, dass das Gebäude abgerissen werden soll, habe ich noch mit dem Denkmalamt Kontakt aufgenommen. Stuttgart ist ja nicht gerade reich an altem Bestand. Für uns war es völlig unvorstellbar, dass man 2013 noch gewillt war, in einer Stadt wie Stuttgart alte Substanz abzureißen und dem Ort noch weniger Atmosphäre zu schenken.

Als er dann seine neue Location gefunden hatte, war ich am Anfang von der Lage und den Räumlichkeiten nicht wirklich überzeugt. Aber die Räume haben für die Nutzung gepasst. Wie so oft gab es begrenztes Budget und wenig Zeit. Zuerst hatte ich gesagt: Okay, dann kauf einen Eimer weiße Farbe und kipp ihn drüber und dann ist es ein klassischer Weißraum. Dann wurde mir aber das Potential klar, dass wir damit eine Geschichte erzählen können. Wie wäre es, wenn wir die Räume aus Vorhandenem gestalten und vermeintlichen Abfall neu interpretieren, ganz nach dem Motto: Reduce, Reuse, Recycle. Im gleichen Jahr war das dann passenderweise auch Thema des Deutschen Pavillons auf der Architektur Biennale in Venedig.

Wie lief die Umgestaltung der Räume konkret ab?

Tina Kammer: Letztendlich gab es bei dem Projekt keine klassische Planung mit Grundriss und Ausarbeitung in die 3-Dimensionalität und fotorealistischem Rendering. Hier mussten wir einen neuen Gestaltungsprozess gehen. Wir wussten im Vorfeld nicht bis ins Detail, wie es werden wird. Oft standen wir vor Ort im Staub und haben anhand dessen entschieden, was wir vorgefunden haben. Das funktioniert natürlich nur mit einer mutigen und offenen Herangehensweise aller Beteiligten, die auch Spaß daran finden.

Ich glaube, wir waren mit der AK2 bei vielem der Zeit weit voraus. Der architektonische Gestaltungsprozess wurde in Frage gestellt und durch die Auseinandersetzung mit den Ressourcen vor Ort und deren konsequenter Wiederverwendung in eine neue Richtung gelenkt. Heute diskutieren wir darüber, wie wir Materialien und Ressourcen in einen Kreislauf bringen.

Wenn wir das Thema Nachhaltigkeit wirklich ernst nehmen, müssen wir auch unsere Erwartungen, Vorstellungen und unser ästhetisches Empfinden überdenken. Bei uns muss ja immer alles perfekt sein. Wenn sich das nicht ändert, werden wir weiter bauen wie bisher und die Materialien verbrauchen wie bisher. Die AK2 ist das komplette Gegenbeispiel. Der Raum weckt Assoziationen und die Besucher fragen sich, was das alles früher mal war. Auch die Annahme, dass ein Kunstraum weiß sein muss, um die Kunst perfekt in Szene zu setzen, gibt es hier nicht. Die Künstlerinnen und Künstler müssen sich dem Raum annehmen.

Andreas Körner: Für mich war der Prozess besonders intensiv, weil wir uns durch die kurzen Wege in Stuttgart oft live getroffen haben und Meter für Meter entschieden haben, was hat eine Historie, was erzählt eine schöne Geschichte und was braucht man nicht zeigen, um die Geschichte weiter zu erzählen. Und so kam auch irgendwann der Entschluss, dass man diesen Bruch zwischen dem vorderen Raum und dem hinteren Café bewusst überhöht und mit dem Kontrast spielt. Es ist großartig, dass wir einen transparenten Innenraum haben und hier ständig eine Verschmelzung mit dem Außenraum stattfindet. Je nach Tageszeit fließt das eine in das andere über.

Jetzt haben die Künstler tatsächlich eine Herausforderung, mit diesem Kunstwerk – wie einige schon sagen – zu arbeiten und sich darauf einzulassen. Dadurch werden die Arbeiten der Künstler ganz andere. Wir haben nur etwa zehn Prozent klassische Bilder an der Wand ansonsten vor allem raumgreifende Installationen. Die Künstler werden inspiriert durch den Ort und reagieren mit ihren Arbeiten darauf. So z. B. bei der Arbeit Re-Conversion von Eva Schmeckenbecher, die den Raum fotografisch reproduziert, neu zusammengesetzt und in sich selbst ausgestellt hat.

Vor der eigentlichen Eröffnung gab es eine Begehung der Räume – wie war die Resonanz?

Andreas Körner: Es wurde kommuniziert, dass die Räume an sich einfach nur mal begangen werden, um den Ort zu spüren. Wir sind da überrannt worden – weit über 100 Personen kamen. Es gab nur positive Rückmeldungen.

Tina Kammer: Wir sind immer wieder überrascht und begeistert, wie positiv die Räume ankommen. Durch die Bekanntheit der Räume, hat sich auch deren Nutzung im Laufe der Zeit geändert. Es kamen Anfragen für Schulungen, Workshops und private Veranstaltungen. Das war so nicht geplant.

Andreas Körner: Ja, und bei den Anfragen wird deutlich, dass die Firmen bewusst ganz andere Räume suchen, um sich für einen Gedankenaustauch oder Projekte Inspiration zu holen.

Man hat oft das Gefühl, dass die Kunst über dem gesellschaftlichen Thema Nachhaltigkeit steht und sich damit nicht beschäftigt. Stehen Kunst und Nachhaltigkeit im Widerspruch?

Tina Kammer: Ja, das sehe ich hundert Prozent so. Bei der Biennale 2016, die Alejandro Aravena kuratiert hat, hat er quasi aus dem Abriss der letzten Biennale Räume geschaffen – die ganzen Rigipsplatten vom Abriss hat er zu Wänden aufgestellt und über Bildschirme die ganzen Zahlen und Fakten dargestellt, um zu zeigen, was eine Architektur Biennale für Ressourcenverbrauch, Abfallaufkommen, CO2 -Ausstoß für Logistik, Besucher und so weiter bedeutet. Die Kunst kann sich bei diesem Thema definitiv nicht raushalten!

Andreas Körner: Wir merken in der GALERIE AK2, dass die Künstlerinnen und Künstler schon die Auseinandersetzung mit Recycling Materialien suchen. So zum Beispiel bei der Ausstellung von Francisco Wiborg Bamford. Bei den Farben können die Künstler meistens keine Abstriche machen, aber Francisco nutzt als Trägermaterial Fundstücke, zum Beispiel Holzplatten von alten Möbeln. Ein anderes Mal hat er eine alte Tischtennisplatte zersägt und eine Karotte durch die Mittellinie wachsen lassen.

Vermutlich ist es auch der von uns gestaltete Raum, der die Künstler und Künstlerinnen zusätzlich motiviert.

Derzeit werden in Stuttgart sehr viele Gebäude abgerissen. Wieso werden nicht mehr Gebäude erhalten?

Tina Kammer: Gute Frage! Das liegt wohl am gesamten System. Gebäude sind ja nicht nur Gebäude, sondern eben auch Spekulationsobjekte. Dann gibt es fragwürdige Subventionen, eine nicht zeitgemäße Bauordnung und eine Honorarordnung, die sich nach wie vor nach den Baukosten richtet.

Aktuell wird viel über die „Bauwende“ gesprochen. Der im letzten Jahr von der EU verabschiedete Green Deal ist die Aufforderung neu zu denken und neue Wege zu gehen. Bauen im Bestand muss von allen Beteiligten – auch der Politik – über Abriss und Neubauten gestellt werden.

Die Bauindustrie ist für einen Großteil unseres Rohstoffverbrauchs, unseres Abfallaufkommens und CO2-Ausstoßes verantwortlich. Hier gibt es also viel zu tun und das darf meiner Meinung nicht auf freiwilliger Basis passieren. Dafür bleibt uns keine Zeit mehr.