Kolumne Nachhaltigkeit

md Magazin

Interior | Design | Architekture

Ausgabe Juli / August 2023

Kolumne InteriorPark. auf Seite 32-33

ABSCHIED VON ALTHERGEBRACHTEN DENK- UND GESTALTUNGSMUSTERN

ROCK ‚N‘ ROLL STATT BLUES

Wenn man vertrauten, aber zukunftsunfähigen Vorstellungen und Umsetzungen festhält, kann die Trendwende hin zu nachhaltigem Bauen kaum gelingen. Dass Verzicht nicht zu Qualitätsverlust führen muss, ist Aufgabe der Gestalter.

Sie war so vielen eine Motivation und Inspiration, ein Role Model. Sie hat für Frauenrechte gekämpft, ohne von der Kanzel zu predigen und ermutigte dabei Frauen wie auch Männer. Sie überzeugte, ohne statistische Zahlen zu bemühen. Sie war ein Vorbild, weil sie gegen alle Widerstände das schier Unmögliche möglich machte. Sie hat es einfach getan! Entsprechend groß, respektvoll und herzlich war die Anteilnahme zu ihrem Tod im Mai dieses Jahres. Das Leben und Wirken von Tina Turner sollte auch uns ein Vorbild sein: mit Lust und Freude Menschen zusammenbringen und etwas Gutes, Bleibendes schaffen – aber warum tun wir uns damit so schwer?

MEHR HANDELN, WENIGER REDEN
Springen wir von Tina Turner und ihren über den Tod hinauswirkenden Taten zum nachhaltigen und kreislauffähigen Bauen. Kaum eine Fachveranstaltung oder Publikation kommt heute ohne das Thema nachhaltiges und kreislauffähiges Bauen aus. Es wird bundesweit von Kanzeln gepredigt, mit Statistiken und wissenschaftlichen Erkenntnissen belegt. Wir reden so viel und tun so wenig. Dabei warten so vielfältige, kreative Aufgaben auf uns.

Der Übergang von einer linearen Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft ist bereits im Gange, obwohl die Akzeptanz dieser Veränderungsprozesse in der breiten Öffentlichkeit noch nicht vollständig vorhanden ist. Zusätzlich stellt die Transformation von der Produktionsgesellschaft zu einer digitalen Gesellschaft eine große Herausforderung dar. Beide Veränderungsprozesse können sich allerdings gegenseitig befruchten.

Das sei am Beispiel des Gebäuderessourcenpasses verdeutlicht. Nur wenn wir Informationen über bestehende Gebäude und deren Bauteile und Materialien erfassen können, können wir sie im Planungsprozess angemessen berücksichtigen. Gleiches gilt für neue Produkte, die dank digitaler Erfassung nach ihrer Nutzung wieder in den Materialkreislauf zurückgeführt werden können.

GEMEINSCHAFTLICHE UND KULTURELLE AUFGABEN

Allerdings erleben wir derzeit in vielen Fällen, dass alte Machtverhältnisse den notwendigen strukturellen Wandel hemmen. Die Hauptursache: Postkoloniale Strukturen und Lobbygruppen, insbesondere der fossilen Industrien, sind zu lange schon zu fest etabliert.

Allein in Deutschland werden laut Bundesumweltamt jährlich klimaschädliche Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro gezahlt, die die Dekarbonisierung auf allen Ebenen erheblich verzögern. Neben dieser politischen Dimension muss die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft als gemeinschaftliche und kulturelle Aufgabe verstanden werden.

Das Festhalten am Status quo und die Blockadehaltung sind sowohl auf politischer, wirtschaftlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene starke Hindernisse für notwendige Transformationsprozesse. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat sich mit der Psychologie der Klimakrise befasst und drei psychologische Prozesse sowie Denkweisen herausgearbeitet: Bagatellisierung und Verdrängung, Skepsis und Widerstand und Abwarten und daraus folgend Lähmung oder Handlung.

GRUNDLEGENDER STRUKTURWANDEL

Für eine lebenswerte Welt brauchen wir einen grundlegenden, strukturellen Wandel in unserer Denkweise sowie unserer Art zu gestalten und zu wirtschaften.

Aber warum halten wir uns damit auf, den Status Quo zu optimieren? Lassen wir uns lieber neugierig auf Neues ein. Entwickeln wir neue Gestaltungsprinzipien, indem wir Bestehendes einsetzen, also was schon da ist, und neue Formen der Ästhetik zulassen. Schaffen wir eine neue Moderne – die alte ist schließlich schon alt genug.

Das wirft Fragen auf: Wie viel neuen Wohnraum benötigen wir wirklich? Ist der bestehende ungerecht verteilt? Wie lassen sich der hohe Einsatz von umweltschädlichen Ressourcen und Bauarten eklatant reduzieren? Wie können wir den Bestand transformieren, ohne neue Ressourcen einsetzen zu müssen? Was ist konzeptionell und gestalterisch die Antwort auf all diese Fragen?

Bei einem Spaziergang durch so manches Neubaugebiet oder Innenstadt, wird man von baulicher Ödnis erschlagen. Ähnlich kann es einem aber auch bei einem Waldspaziergang gehen. Die beiden Fotos sind an exakt der gleichen Position entstanden: lediglich eine 180° Drehung trennen sie voneinander.

ALTERNATIVEN ZU BAULICHER ÖDNIS

Wir haben die Wahl: Monokultur oder Vielfalt? Stagnation oder Zukunft? Es geht schließlich nicht um Verzicht, es geht um Qualität. Denn was der Natur schadet, schadet auch uns. Wir als Gestaltende können Gutes und Schönes erzeugen und damit überzeugen. Also seien wir mutig und aktiv. Seien wir so, wie es Tina Turner propagiert hat: Simple the best!

„Schaffen wir eine neue Moderne

die alte ist schließliche schon alt genug“