Kolumne Nachhaltigkeit

md Magazin

Interior | Design | Architekture

Ausgabe Januar / Februar 2024

Kolumne InteriorPark. auf Seite 10-11

ÜBER DIE ÜBERFÄLLIGE TRANSFORMATION DER BAUWIRTSCHAFT

Fangen wir in diesem Jahr an

Vorsätze für das neue Jahr verblassen schnell. Solche für die nächsten Jahrzehnte
erfordern einen langen Atem. Das betrifft konkret den Wandel in der Baubranche hin
zur Kreislaufwirtschaft. Ein Plädoyer fürs kreative Mitgestalten und Machen.

Silvester. Mitternacht. Korken knallen. Wir stoßen auf 2024 an und starten das neue Jahr wie immer mit guten Vorsätzen wie mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben … gesünder leben eben. Aber mit den guten Vorsätzen ist das immer so eine Sache. Aus Erfahrung wissen wir, dass es nicht selten an der Umsetzung hakt. Die Motivation lässt schnell nach. To-do-Listen hingegen erhöhen immerhin die Chancen auf Erfolg. Auch gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich stehen To-do-Listen an. Vor allem die EU hat einiges in petto. Die Abkehr von fossilen Energieträgern und die Veränderung unserer Essgewohnheiten sind zusammen mit der Transformation der Baubranche die größten Hebel, die nötig
sind, um CO2 zu reduzieren, somit die Erderwärmung zu begrenzen und den Green Deal umzusetzen.

VERANTWORTUNG DER UNTERNEHMEN

Am 14. Dezember 2023 hatte sich das Europaparlament gemeinsam mit den EU-Staaten auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, das über das deutsche Gesetz hinausgeht. Damit sollen künftig Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren.

Unternehmen, die Risikobranchen angehören, dazu zählt insbesondere das Baugewerbe, müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind. Damit stehen Unternehmen nun für ihre Geschäftskette in der Verantwortung, also auch für ihre Geschäftspartner sowie teilweise für nachgelagerte Tätigkeiten. Wenn Auftragsunternehmen fundierte Informationen für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung benötigen, fragen sie bei ihrer vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette an, also bei Herstellern, Handwerksbetrieben und bei Architekturbüros. So geraten die Kreativen, Planer und Architekten plötzlich zum Teil der Lieferkette. Doch wer will das sein?
Die Anforderungen an Planende sind ohnehin nicht trivial: Das umfasst gestalterische Qualitäten, Raumprogramme, Brandschutz, Schallschutz, Genehmigungsfähigkeit, Bürokratie, Investitionskosten und vieles mehr. Schöne Räume mit entsprechenden Aufenthaltsqualitäten zu schaffen, die ihrer Funktion und Nutzung gerecht werden – dafür traten wir eigentlich an. Durch die To-do-Liste der EU bekommt „schön“ ein neues Werteverständnis. Umweltqualität ist ein neues Kriterium.

Treibhausgas-Emissionen heißt die neue Währung. Ab dem Geschäftsjahr 2025 oder 2026 haben deshalb auch kleine und mittelständische Unternehmen nach den europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD-Richtlinien, die Verpflichtung, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung
abzuliefern.

RESSOURCEN SIND KEIN ABFALL

Im Bausektor werden seit Jahren die Bauwende und die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft proklamiert. Nachhaltig und kreislauffähig scheinen das neue Normal in der Architekturkommunikation zu sein. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig bisher umgesetzt wurde.
Wir wissen schon lange, dass wir End-of-life-Szenarios entwickeln müssen. Es ist bekannt, dass wertvolle Ressourcen kein Abfall sind, sondern Wertstoffe. Zur Weiternutzung sollten sie möglichst aus Monomaterialien in reversiblen Konstruktionen zum Einsatz kommen, um sie anschließend in Materialströme rückführen zu können.
Noch fehlen uns in der Breite die Erfahrung und die politischen Rahmenbedingungen – genau deshalb bietet sich die einmalige Gelegenheit, den Prozess von Anfang an kreativ mitzugestalten. Fangen wir 2024 an. Denn die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen der Klimakrise werden die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Dabei hat sich Deutschland zum Ziel gesetzt, 2045 klimaneutral
zu werden. Das ist ambitioniert, aber laut Studien noch machbar. Der Weg dahin und die notwendigen Maßnahmen müssen jetzt geplant und so schnell wie möglich umgesetzt werden.

Sich an den Maßnahmen und Anforderungen aufzureiben, ist also reine Zeitverschwendung. Sinnvoller ist es, die Potenziale der anstehenden Veränderungen zu begreifen.

FANGEN WIR JETZT AN

Wenn wir uns als Gesellschaft endlich dazu entschließen, unsere Lebensgrundlage zu retten, können wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir in Zukunft leben wollen. „Es ist unmöglich, eine bessere Welt aufzubauen, wenn man sie sich nicht vorstellen kann“, sagte Lesley Lokko, die Biennale-Direktorin 2023 treffend. Lassen wir uns darauf ein und feiern die Zukunft! Dann klappt es mit dem Vorsatz,
gesünder zu leben und dabei die Welt zu retten.