md Magazin
Interior | Design | Architecture
Ausgabe 11.2019
Green Critics Kolumne InteriorPark. auf Seite 64-65
INNOVATION UND NACHHALTIGKEIT
NICHTS TUN – UND DIE WELT ATMET AUF
Deutschland ist XXL-Land, doch Reduktion ist der neue Luxus.
Wer auf großem Fuße leben kann, versucht zumindest, den Abdruck zu verkleinern.
Wenn das nur nicht so anstrengend wäre!
Auf dem Papier und in den digitalen Medien scheint der Trend zum Verkleinern ungebrochen. Wohin man scrollt, schaut, blättert gibt es Berichte über ein Leben ohne Überfluss und die Reduzierung auf das Wesentliche, über die Zero-Waste-Bewegung oder die gemeinsame Nutzung von Gegenständen, die man nicht täglich benötigt. Und tatsächlich wird überall ausgemistet, weggeworfen, abgeschafft, verschenkt, geteilt. Reduktion als neuer Luxus. Ballast loswerden und weniger Erkältungen dank aufgeräumter Zimmer-Ecken. Feng Kondo oder Marie Shui? Egal, asiatisch schmeckt allen.
De facto geht der Großteil der in der sogenannten Mittelschicht lebenden deutschen Bevölkerung nach wie vor verschwenderisch mit Dingen, Raum und Ressourcen um. Wer auf großem Fuße leben kann, versucht jedoch zunehmend, dessen Abdruck zu verkleinern und sein Klimakonto vermeintlich ins Plus zu bringen:Das schlägt sich in der vielzitierten SUV-Fahrt zum Bio-Markt nieder, im Winzig-Haus von begrenzter Lebensdauer, in dem an ein paar Wochenenden im Jahr das einfache Leben zelebriert wird, oder in eigentlich maximal naturnahen Camperferien, für die alles, was man sowieso schon zuhause hat, nochmals in klein und faltbar angeschafft werden muss. Selbst der Spaziergang durch den Stadtpark geschieht – ausgerüstet wie zur Himalaja-Besteigung – in Naturnähe demonstrierender Outdoorkluft, die uns um Jahrhunderte überleben wird. Die sportive Jacke erzählt von der Sehnsucht nach Weite, Bergen, Wasser, Einsamkeit – wenn es schlecht läuft wird dieser Ort aber gerade totgetrampelt von zig anderen, denen der Insta-Post gut gefallen hat. Individualismus adieu!
Ökologische Lebensweise wird zum Statussymbol. Scheinbar schonen wir die Umwelt, produzieren aber, einfach weil wir es uns leisten können unsere Grundbedürfnisse ausreichend zu decken, unfassbar viel Abfall. Die europäische Mittelschicht ist zu reich, um die Umwelt zu schonen – wer dagegen von Haus aus wenig hat, kann sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, seine Güter weiter zu verknappen.
Pro Kopf standen einer Person in Deutschland im Jahr 1965 im Schnitt 22qm zur Verfügung, 2017 hat sich dies schon mehr als verdoppelt auf 46,5 qm. Mehr Fläche benötigt mehr Heizung, mehr Licht, mehr Ausstattung und somit mehr Ressourcen. Wird der vorhandene Raum genutzt? Am einladend ausladenden Esstisch für 10 Personen sitzt man die meisten Tage des Jahres zu zweit, dritt oder viert. Die besten Partys finden trotz 200qm-Wohnung in der Küche statt. Im Gästezimmer wohnt das Bügelbrett neben Kisten vom letzten Umzug recht feudal, und sind die Kinder erst mal weg, verdoppelt sich der Wohnraum sogar noch. Der dann sinnvolle Schritt zur Veränderung – ein Umzug in weniger Fläche – wird gescheut. Welcher alte Baum möchte, wenn es nicht unbedingt nötig ist, verpflanzt werden? Paradoxerweise sind kleinere Wohnungen aufgrund der Immobilienpreisexplosion sogar oft teurer, eine Verminderung würde folglich sogar Mehrkosten mit sich bringen. So entstehen vergreiste Einfamilienhaussiedlungen, in denen die längst erwachsenen Nachkommen ihre Lebensmittelpunkte anderweitig gesucht haben. Und diese Kinder wohnen ebenfalls wieder möglichst groß. Kaum dem Elternhaus entflohen, lassen sie sich, nach dem Umweg über das Studentenwohnheim oder die WG, irgendwann in einer schönen Altbauwohnung oder einem im Idealfall klimaneutralen Neubauwohnprojekt mit bodentiefen Fenstern nieder. Die Generation entdeckt zwar Lastenrad und E-Roller, weit Jüngere bringen uns dazu, ernsthaft übers Fliegen nachzudenken, dem steht aber zum Beispiel der Gegentrend der immer größer werdenden Autos gegenüber. Größer werdende Autos brauchen größere Garagen, größere Parkhäuser, breitere Straßen. Deutschland XXL-Land. Die Materialschlacht nimmt weiterhin ihren Lauf. Es wird groß gedacht – size does matter.
Was also können wir tun? Bestenfalls gar nichts! Man müsste vorwiegend lassen. Dolce far niente, das wussten schon die alten Römer. Und dann? Gehen wir eine Runde Waldbaden. Shinrin – yoku – Wer hat’s erfunden?